Aktuelle Recherche
Schwerpunkt: RAF und der Verfassungsschutz
Das sind nun die Bücher in meiner Recherche, die mich wirklich weitergebracht haben. Die dort aufgeführten Fakten schließen sehr viele Lücken, die sich während der Recherche ergaben. Viele dieser Zusammenhänge kann ich in meine Ideen einfließen lassen.
Der Lockvogel
Von Stefan Aust
Auch diesen Autor hatte ich schon mal in meiner Liste. Stefan Aust, ehemaliger SPIEGEL Chef, hat neben „Der Baader-Meinhof-Komplex“ ein weiteres, sehr wichtiges Buch geschrieben. Wenn ich das richtig gelesen habe, gibt es von diesem Buch zwei Varianten. Eine erweiterte Auflage mit neue Erkenntnissen hat die eigentlichen, spektakulären Fakten zutage befördert.
Der Lockvogel ist der junge Ulrich Schmücker, Mitglied der sogenannten „Bewegung 2. Juni“, deren Mitglieder zum großen Teil zur RAF gewechselt sind und denen mit der Entführung des Berliner CDU Spitzenkandidaten Peter Lorenz 1975 die erste und einzige erfolgreiche Erpressung deutscher Behörden „gelingt“. Knapp ein Jahr zuvor wird jedoch der junge Terrorist Ulrich Schmücker zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ (unter ihnen die spätere RAF Mörderin Verena Becker) verhaftet. Schmücker spricht dabei mit Vertretern des Verfassungsschutzes und gilt – bewusst initiiert durch den Verfassungsschutz selbst – als Verräter. Schmücker ist in Gefahr begibt sich nach seiner Freilassung jedoch wieder in die linke Szene. Dort wird die Rache und die Hinrichtung des jungen Mannes geplant und tatsächlich umgesetzt. Schmücker wird erschossen.
Aust deckt auf, dass der Verfassungsschutz Schmücker hätte schützen können. Er deckt außerdem auf, dass der Verfassungsschutz Beweise manipuliert und zurückgehalten hat. Unter anderem die für die Aufklärung wichtige Tatwaffe. Die findet sich nach Jahren bei irgendwelchen Asservaten beim Verfassungsschutz. Ganz wichtig: eine Person taucht hier bereits auf, die später für diverse Abhöraktionen und Haftbedingungen der Terroristen verantwortlich ist und irgendwann spurlos von der Bildfläche verschwindet. Es ist der V-Mannführer Michael Grünhagen, alias Peter Rühl, alias wie auch immer – wie ein roter Faden ziehen sich diese Namen durch wirklich alle Dokumentationen, die ich zu diesem Thema gelesen habe. Geht es um den Terror, ausgehend von der 68er Bewegung und findet dieser einen Zusammenhang zum Verfassungsschutz, dann ist es immer wieder dieser Mann, der Verhöre führt, immer dieselben Methoden anwendet und unglaubliche Befugnisse zu haben scheint, jenseits jeder Rechtsstaatlichkeit.
Keine neue Gestapo
Von Constantin Goschler und Michael Wala
1949 beschließt der sogenannte „Parlamentarische Rat“ das Grundgesetz. In ihm wird die Schaffung einer ganz besonderen gesellschaftlichen Instanz beschlossen: der Verfassungsschutz. Während einige in dieser Instanz eine neue Form der „Gestapo“ sehen, erkennen andere in dieser Instanz ein notwendiges Übel, eine Art Schutzmaßnahme für die Demokratie. Denn es kann immer Bestrebungen innerhalb demokratischer Grundordnungen geben, die sich selbst gegen diese Grundordnung richten. Hauptargument ist die politische Tatsache, dass Hitler legal an die Macht gekommen ist und selbst das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ demokratisch legimitiert war. Möglich wurde das durch Kräfte, die außerhalb der Politik lagen, mit gewaltbereiten Gruppen auf den Straßen, die systematisch alle politischen Oppositionskräfte lahmgelegt haben. Um solchen Kräfteverschiebungen entgegen zu wirken, sollte der Verfassungsschutz etabliert werden.
Über diese Anfänge berichtet dieses Buch. Es zeigt unter anderem auf, dass Deutschland einen solchen inneren Geheimdienst aufbauen musste – der Kalte Krieg und der Druck der Amerikaner ließen nicht wirklich eine Alternative zu. Und er zeigt auch den gedanklichen Fehler, der bis heute nicht korrigiert ist. Das Grundgesetz war als Provisorium gedacht und damit auch diese Instanz in der damals angedachten Form. Das Grundgesetz aber ist seit 25 Jahren kein Provisorium mehr. Ebenso wenig der Verfassungsschutz, ein Behördenkonglomerat, das keiner Weisung unterliegt, sich ab und an zweideutig rechtfertigen muss und – so gibt es der Verfassungsschutz selbst an – einer Kontrolle durch Journalisten und der Öffentlichkeit unterliegt. Die damals geschaffenen Baustellen liegen bis heute brach und liefern belletristische Munition erster Sahne.
Verena Becker und der Verfassungsschutz
Von Wolfgang Kraushaar
Bei meiner gesamten Recherche ist dieses Buch das mit Abstand wichtigste. Es ist die wichtigste Ergänzung zu den Standardwerken, weil es unglaublich viele neue Denkansätze liefert und Tatsachen beinhaltet, ohne diese im Detail zu bewerten. Es zeigt die Anatomie der Gewaltwerdung (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) anhand der „Bewegung 2. Juni“, die zum ersten Mal kurze Zeit nach dem „Bloody Sunday“ in Londonderry aktiv wird und auf dilettantische Art und Weise in einem britischen Yachtclub einen unschuldigen Menschen tötet. Tonangebendes Mitglied schon damals die gerade mal dem Teenageralter entwachsene Verena Becker, die später eine zentrale Rolle bei RAF hat.
Man weiß heute, dass der Anwalt Siegfried Haag, der Kopf der sogenannten 2. Generation der RAF Kontakte zum Verfassungsschutz hatte. Man weiß auch, dass Haag eine Beziehung zu Verena Becker unterhielt – zumindest, wenn man dieses Buch gelesen hat.
Viele weitere Dinge, die mir nicht bekannt waren, werden hier dargestellt. Zum Beispiel, dass Verena Becker 1977, während des Deutschen Herbstes ebenfalls in Stammheim inhaftiert war. Zum Beispiel, dass Andreas Baader eine Verräterin der Bewegung 2. Juni erschossen haben soll. Diese Verräterin namens Ingeborg Barz ist 1973 verschwunden und nie wiederaufgetaucht – Legendbildung oder Tatsache?
Kraushaar setzt immer Fußnoten, hat die einschlägigen Biographien gelesen und ist nicht ohne Grund in den vielen Dokumentationen zum Thema ein gefragter Experte.
Stammheim
Von Kurt Oesterle
In diesem Buch wird die Geschichte des Wachmannes Horst Bubeck erzählt, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1991 der leitende Wachmann im sogenannten Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim gewesen war. Er kannte die Eigenarten der prominenten Gefangenen dort, in ihm personifizierte sich gleichsam der deutsche Staat und seine Autorität. Der Autor Kurt Oesterle hat mehrfach mit Bubeck gesprochen und damit diese bisher unerzählte Geschichte festgehalten. Hier finden sich Einzelheiten, die diese Gefangenen entmystifizieren. Entgegen der spannenden, actiongeladenen Geschichten eines „Baader-Meinhof-Komplexes“ sind es hier manchmal Banalitäten, die erzählt werden. Aber gerade diese Banalitäten entzaubern das damals vorherrschende Bild der „Isolationsfolter“ der Gefangenen. Im siebten Stock von Stammheim waren die Gefangenen zeitweise privilegiert, gleichwohl gibt es auch die ein oder andere Auffälligkeit, die die Beamten des Strafvollzugs nur am Rande mitbekommen haben. Das illegale Abhören der Gefangenen – möglich. Der intellektuell minderbemittelte Andreas Baader, der seine beiden weiblichen Mitgefangenen seine ´Zofen´ nannte und das Vertauschen zwei Konsonanten so vermied oder der bastelnde Raspe, der aus Plattenspielergehäusen Pizzaöfen baute.
Ich bin bei meinen Recherchen genau auf diese Banalitäten aus. An ihnen lassen sich Stimmungen und Eindrücke festmachen. Da sind die Erinnerungen eines sehr objektiven, willensstarken Beamten, mit einem dicken Fell für die Angriffe von Schwerstkriminellen - Angriffe physischer wie psychischer Art – extrem wertvoll. Sie schärfen den Eindruck, den man tiefergehender Recherche gewinnen muss. Diese Terroristen waren keine Revolutionäre. Ein idiotischer Dandy, dessen einziges Talent seine Männlichkeit gewesen ist oder eine Pfarrerstochter mit ein bisschen Ahnung von Weltschmerz im wortereifernden Wettstreit mit einer gescheiterten Journalistin – das ist der Eindruck, den man gewinnen muss und der durch diese Beobachtungen bestätigt wird. Damit sind die Grundvoraussetzungen des Marionettendaseins dieser Menschen erfüllt.