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Veröffentlicht am 13. März 2022


Krieg - Zwischen Ideologie und Heuchelei

Es herrscht Krieg in Europa. Beängstigende Szenarien vom möglichen Einsatz von Atomwaffen, die längst abgelegt zu sein schienen, sind aktueller und bedrohlicher denn je. Das alles ist – im Nachhinein betrachtet – eine beinahe zwangsläufige, absehbare Entwicklung. Wenn wir die ideologischen Hintergründe beleuchten und unsere eigene, latente Heuchelei und Verlogenheit mit einbeziehen, dann warten auf uns schlimme Zeiten. Wirklich schlimme Zeiten.

Ein Essay von Peter Killert

Nach den Anschlägen am 11.09.2001 hatte ich einen Artikel mit dem Titel „Rosinenbomber über Kabul" verfasst – ohne mich selbst loben zu wollen, aber das war nur einer von vielen Artikeln, die mehr als weitsichtig waren. Ich habe schon immer die These vertreten, dass Menschen mit einer kreativen Ader, interessiert an Literatur, Philosophie und Politik ein Sensorium für den Zeitgeist haben. Dazu rechne ich mich selbst. Das klingt abgehoben, weil ich damit sage, dass ich Dinge wahrnehme, die andere Menschen so nicht wahrnehmen. Aber so sehe ich das – und jetzt gehen wir in die Details.

Ich habe lange Zeit nichts mehr über Politik und Gesellschaft geschrieben, weil auch bei mir ein gewisser Fatalismus Einzug gehalten hat. Die Flüchtlingskrise, die Klimakatastrophe, wie auch die Pandemie zeigen überall den Egoismus und Gleichgültigkeit. Es fällt schwer die vielleicht vorhandenen, positiven Entwicklungen hervorzuheben, denn die Richtung insgesamt ist falsch und fatal. Und daran sind weder Viren, CO2 oder ein Aggressor namens Putin schuld.

Putin scheint nun bereits die zweite Inkarnation des Wahnsinns zu sein. Zuerst war da ein gewisser Donald Trump, den alle für verrückt hielten und der trotzdem fast die Hälfte der Amerikaner als Unterstützer vereinen kann. Ähnlich sieht es bei Putin aus, wobei wir die russischen Verhältnisse nicht ganz so gut einschätzen können. Aber so einhellig die Ablehnung gegen Putin zu sein scheint – es gibt Gründe dafür, warum sich Menschen nicht von ihm distanzieren und er zum Beispiel in Serbien von Tausenden bewundert wird. Und stellen wir uns vor, Trump wäre noch im Amt – er hätte Putin für seine Konsequenz vermutlich gelobt.

Hinter beiden Ikonen steckt nicht der Wahnsinn oder die Verblendung. Auch kein fehlgeleiteter Narzissmus. Das wäre viel zu einfach. Wenn wir die Hälfte der Amerikaner als Idioten abstempeln, machen wir es uns zu einfach und offenbaren gleichzeitig einen der wichtigsten Angriffspunkte, der es solchen Ikonen einfach macht, ein Publikum zu finden: die überhebliche Heuchelei, die unsere Gesellschaft durchzieht und die eine fundamentale Angriffsfläche für die Ideologie hinter den Ikonen bietet. Wir sollten diese Ideologien einmal näher beleuchten. Das erklärt nämlich sehr vieles und es macht gleichzeitig richtig Angst.

Die Einflüsterer

Die beiden Personen, die man als Ideengeber der Ikonen ansehen könnte, sind sich in ihrem Gedankengut erschreckend ähnlich. Und das liegt ebenfalls an unserer Heuchelei, da diese die Antriebsfeder für die Gedanken Konstrukte dieser Menschen sind. Die Rede ist von Steve Bannon, dem Ideologen hinter Trump und Alexander Dugin, Pendant auf russischer Seite, dessen Thesen in abgewandelter Form in den Darbietungen von Putin zu lesen sind.

Steve Bannon, geb. 1957 war Chefstratege im Weißen Haus zu Beginn der Amtszeit von Donald Trump, Herausgeber der rechtsnationalen Breitbart-News und Ideologe der „Alt-Right“ Bewegung, die die „Zerschlagung des Establishments“ zum Ziel hat, sich gegen jede Form der Globalisierung auflehnt und die weiße Rasse für überlegen hält („White Supremacy“). Sein Geldgeber im Hintergrund ist der Milliardär Robert Mercer, der unter anderem an der Gründung von Cambridge Analytica beteiligt war – eine Firma, die maßgeblichen, illegalen Einfluss auf Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hatte. Weitere Infos bei Wikipedia.

Sein Pendant in Russland heißtAlexander Dugin, geb. 1962, Philosoph, Politiker und Vertreter des „Neo-Eurasismus“, einer Ideologie, die ein Europa und Asien unter Führung Russlands anstrebt und dafür ein apokalyptisches Szenario eines „Endkampfes“ vorsieht. Europa sei von Amerika okkupiert und müsse unter Führung eines imperiumbildenden Russlands neu erstehen. Auch diese Ideologie lehnt die Globalisierung konsequent ab und verachtet die derzeit bestehende europäische Wertegemeinschaft. Diese sei ein „romano-germanisch“ geprägtes Weltbild, dass durch ein von Russland dominiertes Eurasien ersetzt werden müsse. Auch hierzu weitere Infos bei Wikipedia.

Beide Ideologen konzentrieren sich in ihrem Gedankengut auf die Weiterentwicklungen historischer Wurzeln: Imperialismus im Westen und Panslawismus im Osten. Ersterer hat eine gewisse Kontinuität in den letzten Jahrhunderten, letzterer wurde 70 Jahre vom kommunistischen Experiment unterbrochen und hat sich erst in den letzten 30 Jahren weiterentwickelt. Beide Weltanschauungen vereint die Verachtung Europas und seiner Darstellung universeller Werte und der damit einhergehenden Überlegenheitskultur. Beiden geht es immer um die Bekämpfung einer konservativen, inneren Elite. Bannon ist der größte Feind der Konservativen des Establishments, Dugin der Feind der Oligarchen. Die Breitbart-Republikaner bekämpfen die etablierten Republikaner mindestens genauso, wie sie die Demokraten bekämpfen. Und dieser Kampf gegen das Establishment wird von seinen Befürwortern überall auf der Welt gefeiert. Bannon und Dugin verfolgen kongruente Ideologien und haben einen ähnlichen, nahezu identischen anthropologischen Ansatz, in dem eine multipolare Welt einer nach universellen Werten strebenden Gesellschaft vorgezogen wird, weil es diese universellen Werte nicht gäbe und von selbstgerechten Eliten vorgegeben werde, die man vernichten müsse.

Martialische Wortwahl und apokalyptische Sehnsucht

Die Wortwahl und die Vorbilder im Denken dieser Ideologien sind martialisch. Dugin forderte 2014 bei der Annexion der Krim unter anderem: „Töten, töten, töten, das ist meine Meinung als Professor.“ Das war selbst in Russland zu viel und Dugin darf seitdem nicht mehr als Professor lehren.

Bannon soll über politische Gegner, wie z.B. den Virologen Fauci gesagt haben, dass wenn er an der Macht wäre, würde er deren „Köpfe aufspießen“ und „sie an zwei Ecken des Weißen Hauses positionieren, als Warnung an die Bürokraten der Bundesregierung“.

(Quellen dazu, siehe die bereits verlinkten Wikipedia Artikel)

Beiden Ideologien ist auch eine gewisse apokalyptische Sehnsucht zu eigen. Sie sehen in militärischen Konflikten eine reinigende Wirkung. Über Bannon sagt man, dass er ein fanatischer Kriegs-Fetischist sei, der Kriege nach 70-100 Jahren als zyklische, notwendige Entwicklung ansähe. Demnach wäre es jetzt wieder so weit. Und das ist keine zynische Prognose, sondern eine reale Gefahr, denn es herrscht auf dem europäischen Kontinent kein nukleares Gleichgewicht. An nur sechs Standorten in Europa (2x Italien, 1x Belgien, 1x Niederlande, 1x Deutschland – in Büchel, in der Nähe von Koblenz, 1x Türkei) sind im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ dauerhaft Atomwaffen stationiert. Unabhängig davon verfügen Frankreich und Großbritannien über weitere Atomwaffen. Mal angenommen Russland würde taktische Atomwaffen einsetzen und gezielt diese Standorte in Europa vernichten, dann würde eine Win-Win Situation für beide Ideologien entstehen. Die verhasste europäische Wertegemeinschaft wäre vernichtet, Russland die dominierende Macht in Eurasien und der Einfluss auf Amerika vom Kontinent entfernt. Nur die NATO-Beistandsverpflichtung würde dann allein die USA nötigen, zurückzuschlagen. Aber warum sollten die USA, derzeit noch unter der Ägide von „Sleepy Joe“ das tun? Sie würde es nicht tun, wenn es nach der Bannon-Ideologie ginge und ich bin sicher, dass auch demokratische Kräfte eher einen Rückzug aus Europa befürworten würden, statt in eine zweite Runde eines Gegenschlages einzuschwenken. Ich befürchte, dass genau dieses Szenario von Putin längst durchdacht worden und eine reale Gefahr ist. Ich weiß nicht, ob es das wahrscheinlichste Szenario ist, da zu einer derartigen Eskalation eine emotionslose, kalte Risikobereitschaft gehört, die dann auch jedes weitere Kalkül ad absurdum führt – aber es ist wie gesagt ein sehr reales Szenario, das ein Wladimir Putin und erst recht die Ideologen an seiner Seite, längst durchgespielt haben.

Alexander Dugin sieht in dem sogenannten „Great Reset“ – die Neuausrichtung der globalen Wirtschaft nach Ende der Corona-Pandemie – den Versuch der Kontrolle einer Öffentlichkeit und die Etablierung von „Cancel Culture“. Kollektive Identitäten würden zugunsten immer stärker granulierter, individueller Interessen abgeschafft. Die globalen Werte, die von einer solchen Gesellschaft vorgegeben werden, seien geprägt von Heuchelei.

Heuchelei als Wasser auf die Mühlen der Ideologen

Was diese Überlegung aber so ungemein angsteinflößend macht ist die Tatsache, dass Dugin mit dieser Analyse zum Teil recht hat. Nicht was die ihr anhängenden Verschwörungstheorien betrifft, sondern in Bezug auf die schon eingangs erwähnte Heuchelei. Diese umgibt uns schon seit einigen Jahrzehnten – sie wird nicht weniger, sondern immer offensichtlicher und widerlicher. Sie ist Wasser auf die Mühlen dieser Ideologen und sie ist real, sie zersetzt die Gesellschaft.

In den ersten zwei Wochen seit Beginn des Krieges wurden die „Welcome Refugees“ Schilder wieder ausgekramt. Selbst Polen und Ungarn helfen mit. Polen hat innerhalb von zwei Wochen in etwa so viele Flüchtlinge aufgenommen, wie Deutschland in der Krise 2015. Mal schauen, wie lange diese Willkommenskultur dieses Mal anhält … . Die NZZ hat schon angefangen, gegenzusteuern. Als hätten Millionen trittbrettfahrende Flüchtlinge nur auf diesen Krieg gewartet. Die Rechten und die Querdenker schießen sich bereits auf die Zeit ein, in der der Krieg in der Ukraine Alltag sein wird.

Auch die jetzt beschworene Einigkeit des Westens – sowohl der EU als auch der NATO – sollten wir nicht überbewerten. Die wird im Pragmatismus zwischen Pest und Cholera Entscheidungen, von denen noch viele zu treffen sein werden, immer mehr Risse bekommen. Und nochmal der Gedanke: warum sollten sich die USA bei fortschreitender Eskalation des Konfliktes überhaupt einmischen? Addieren wir die demokratischen Kräfte der USA, die sich aus solchen Konflikten heraushalten wollen, zu denen, die eine multipolare Welt wollen, dann gibt es dort keine Mehrheit für das Austragen eines im Kalten Krieg verhafteten Konflikt. Das muss uns klar sein.

Mehr noch zeigt sich die Heuchelei in den sogenannten „Sanktionen“, die noch nicht dazu geführt haben, dass wir die tägliche(!) 200 Millionen EUR Überweisung an Russland einstellen. Weil wir die Folgen fürchten – Folgen, die gemessen an dem, was noch kommen wird, „Peanuts“ sein werden. Der potenziell frierende Deutsche ist das Schreckgespenst, das den Altar der Freiheit verschleiert.

Während in der Ukraine die Bomben fallen, geht in Deutschland mit Benzinpreisen jenseits von 2,00 EUR pro Liter für den in Inflation verarmenden, gemeinen SUV Fahrer die Welt unter. Wir müssen unbedingt die Mehrwertsteuer auf Sprit senken – oh ja, das ist genau das, was wir bei uns dringend diskutieren müssen. Scheiß auf die Vorschläge von Greenpeace, die einen großen Beitrag zur Einsparung leisten könnten – die Freiheit auf der deutschen Autobahn ist wahrhaftig eine große Errungenschaft. Es wäre ja eine echte Kapitulation vor Putin, wenn der Deutsche sie aufgeben würde. Je schneller wir fahren können, desto schneller hängen wir vor der Glotze und können uns im Dschungelcamp anschauen, wie Menschen Kakerlaken fressen.

Eine besonders widerwärtige Facette speziell deutscher Heuchelei, zeigt sich bei den Tricksereien der Deutschen Waffenindustrie, die immer wieder Schlupflöcher findet, um Waffen in Länder zu exportieren, die keine Waffen aus Deutschland bekommen dürften. Diese Länder sind aber natürlich eine dankbare Kundschaft. Die Drogenkriege in Mexiko und Kolumbien wären ohne deutsche Waffen gar nicht möglich – aber die Profiteure waschen ihre Hände in Unschuld. Denn es werden ja gar keine Waffen dorthin verkauft, sondern stattdessen ihre Einzelteile in Drittländer, wo diese zusammengesetzt werden und dann erst in die Länder des sogenannten „Endverbleib“ gelangen. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Und die Deutsche Bundeswehr hat trotz Multi-Milliardenetat noch nicht einmal ein Gewehr das geradeaus schießen kann.

Gleichzeitig jedoch halten europäische Top-Politiker die universalen moralischen Werte hoch. Vornehmlich von einer Frau von der Leyen, die bei der letzten Europawahl auf keinem Wahlzettel stand und nach internen Machtspielchen plötzlich als Kompromiss aus dem Hut gezaubert wurde. Ist das die Verkörperung von Demokratie?  Ja, in Europa werden bald keine männlichen Kücken mehr geschreddert – dann beziehen wir unsere Produkte ganz einfach aus den Ländern, in denen das passiert, um den Discounterpreis niedrig zu halten.

Das Schlimme an all dieser Heuchelei ist, dass sie den Ideologen immer und immer wieder recht gibt. Es wird sich irgendwann die Frage ergeben, ob es jenseits all dieser Heucheleien doch universelle Werte gibt – aber wer soll diese glaubwürdig vertreten? Das können nur die Menschen selbst sein.  Aber da kommt dann zu der Heuchelei das innere Belächeln – das offensichtlichste Symptom unserer Zeit. Was nützt es, wenn ich meinen CO2 Ausstoß verringere, China und andere viel größere Staaten das aber überhaupt nicht interessiert? Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Aussage überhaupt nicht stimmt. Nirgendwo auf der Welt werden so viele Elektroautos neu zugelassen wie in China. Nirgendwo auf der Welt gibt es so radikale Umweltmaßnahmen wie dort. Nirgendwo auf der Welt werden Umweltprobleme dort derart pragmatisch angegangen. Solche Tatsachen sind egal. Im Zeitalter des Postfaktischen taugt der Idealist dann nur noch als verschissener Gutmensch. Der wird von Heuchelei und Ideologie in die Mangel genommen – es wird dann immer stiller um das Gute und Menschen wie Dugin und Bannon erhalten mehr Gehör. Die Masse bekommt keine Orientierung mehr. Nicht durch vorgelebte Ideale und auch nicht durch Fakten.

Putin wird dank der Heuchelei Erfolg haben. Krieg wird wieder zu einem probaten Mittel des Durchsetzens von Meinung. Wir haben vielleicht noch die ein oder andere Spendengala, den ein oder anderen Konvoi in die Ukraine mit Sachen vom ALDI, die ein oder andere verstörende Szene wird uns noch begleiten. Dann wird die Ukraine sich selbst überlassen bleiben. Übrig bleibt im Nachhinein diese Heuchelei – egal, wie es ausgeht.

Laut der Ukraine sind die 5.000 ausrangierten Helme angekommen. Zusammen mit ein paar Haubitzen aus den 50er Jahren und 2.700 verschimmelten Strela Boden-Luft Raketen aus den Beständen der alten DDR. Damit und mit vorhandenem Material haben die Ukrainer in zwei Wochen mehr Panzer und Flugzeuge abgeschossen, als die Bundeswehr in ihrem gesamten Bestand hat. Daran wird man sich erinnern. Wenn irgendwann alles vorbei ist. Egal, wie es ausgeht.

Wir Deutschen, die wir in Jahrzehnten zig tausendfachen katholischen Kindesmissbrauchs kultiviert haben, glauben mit unserer überlegenen, christlichen Kultur, Ideale propagieren zu können, artikuliert aus dem Munde von der Leyens, Vorsitzende eines undemokratischen Überbaus namens EU Kommission, deren Bedeutung sich niemandem erschließt. Wir Deutschen werden alsbald fordern, uns aus allem herauszuhalten. Lasst uns lieber in hunderten Kilometern Stau Tag für Tag Lebenszeit vergeuden und CO2 des Stillstandes emittieren.

Es sind schlimme Zeiten. Und sie werden noch sehr viel schlimmer werden.

(Bitte die vielen Links in diesem Essay beachten – diesen dienen als Quelle und ermöglichen vielleicht ein Nachbilden der Intention hinter diesem Essay).