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Undurchschaubar

Der Arzt Robert Klopstock und seine Bedeutung für die Deutsche Literatur

Das Schöne an der Beschäftigung mit Themen zu meinem Lieblingsschriftsteller Franz Kafka ⧉ ist die Tatsache, dass es immer noch etwas Neues zu entdecken gibt. Vor einigen Jahren waren es die Bücher von Kathy Diamant und von Michael Kumpfmüller, die die letzten Wochen und Monate im Leben von Franz Kafka neu beleuchtet haben. Dann war es die Veröffentlichung der Inhalte des Bankschließfaches der Hoffe-Töchter (Erben von Max Brod ⧉, dem Nachlassverwalter der Schriften von Franz Kafka) und damit verbunden die Publikation eines wunderbaren Bildbandes mit den Zeichnungen bzw. Kritzeleien von Franz Kafka.

Nächstes Jahr jährt sich der Todestag von Kafka zum einhundertsten Mal und was ich so lese deutet darauf hin, dass es zahlreiche Ausstellungen und Darbietungen geben wird - auch online.

Auch bei mir hat das zu neuer Kreativität geführt - neben der andauernden Arbeit an "Opus Magnum" habe ich auch einige Erzählungen geschrieben, die sich alle um Kafka drehen. "Kafkas Stimme" oder das "Treffen in Kierling" - die finden sie ganz leicht, wenn sie auf meinen Seiten danach suchen - sind nur zwei kleine Teile davon.

Im Moment konzentriere ich mich auf eine ganz bestimmte Person im Leben von Franz Kafka, die sich in meiner Wahrnehmung als nur sehr schwer durchschaubar herausgestellt hat. Es gibt einen großen Widerspruch in der überlieferten Wahrnehmung dieser Person und wie sie in verschiedenen anderen Quellen dargestellt wird.


Robert Klopstock

Die Rede ist von Dr. Robert Klopstock (1899-1972), der zusammen mit Dora Diamant ⧉ den todkranken Franz Kafka betreut hat. Das ist aus mehreren Gründen interessant:

  • Klopstock litt selbst an Tuberkulose und hat nach dem Krieg als sehr erfolgreicher Lungenfacharzt gearbeitet. Er hat Kafka 1921 als Mitpatient in einem Sanatorium kennengelernt und es entwickelte sich eine intensive, aber seltsam distanzierte Freundschaft zu Kafka. Die beiden haben sich - laut dem Kafka Biografen Reiner Stach - bis zuletzt "gesietzt"1

  • Kafka hatte mit Klopstock wohl eine Art Vereinbarung geschlossen und ihn mehr oder weniger direkt darum gebeten, ihn - wenn das Leiden unerträglich wird - zu erlösen. Bekannt ist das nicht belegte Kafka-Zitat "Töten Sie mich, sonst sind sie ein Mörder!". Klopstock ist dieser Bitte möglicherweise nachgekommen, denn als er Kafka am Morgen des 03. Juni 1924 ein Opiat spritzt, könnte dies auch bewusst überdosiert gewesen sein. Klopstock selbst hat sich dazu nie geäußert. Er hat nur einmal in einem späten Interview gesagt, dass er - mit dem Wissen über die Krankheit, das er sich in den Jahrzehnten nach Kafkas Tod angeeignet hatte - Kafka hätte retten können. 2

Das sind nun zwei Betrachtungen, die für sich genommen schon sehr interessant sind. Aber es geht noch viel weiter. Klopstock war genau wie Kafka Jude und musste vor den Nazis fliehen. Das war nur möglich, weil Klopstock weiterhin in literarischen Kreise verkehrte, selbst literarische Ambitionen hatte und über die Verbindung zu dem Autor Franz Werfel ⧉ (ebenfalls wie Kafka von Max Brod entdeckt und gefördert) Thomas Mann und dessen Sohn Klaus Mann kennenlernt. Thomas Mann kann Klopstock mit einer Bitte an keinen Geringeren als den in Princeton unterrichtenden Albert Einstein in die USA vermitteln, was dessen Emigration und Karriere als Lungenfacharzt überhaupt erst ermöglicht. Robert Klopstock widerspricht dabei niemals der Art und Weise, wie man ihn in die Kreise dieser Prominenten einführt. Kafkas Texte avancieren in dieser Zeit zur Weltliteratur und Klopstock wird vorgestellt als der Mensch, in dessen Armen Kafka gestorben sei. Das passt nicht ganz zu seiner eigenen Darstellung, in der er sagt, dass Dora Diamant anwesend war, als Kafka seinen letzten Atemzug gemacht hat.

Die Freundschaft zu Klaus Mann, der drogenabhängig war, hat letztendlich fatale Folgen. Klopstock gelingt es, Klaus Mann mit einem opiat-reduzierten Medikament von seiner Heroinsucht zu entwöhnen. Gleichzeitig gibt er Klaus Mann damit das Mittel, welches ein wesentlicher Bestandteil der Medikation war, mit der sich Klaus Mann das Leben genommen hat. Thomas Mann schreibt dazu in sein Tagebuch am 24.06.1949, vier Tage nach dem Tod seines Sohnes:„Das Gift, Entwöhnungsmittel zugleich, hat er von dem idiotischen Klopstock erhalten.“

Auch Max Brod, der Freund von Franz Kafka, soll Klopstock mal als „verrückt“ bezeichnet haben3. Es scheint eine große Diskrepanz zwischen in der Wahrnehmung dieses Menschen zu geben. In einem Artikel wird Klopstock gar als „Todesengel der deutschen Literatur“ bezeichnet.4

Kafkas letzter Freund

Das ist eines der interessantesten Bücher, die ich bisher erworben habe. Es ist bei Amazon zwar gelistet, aber ich konnte es nur in der Antiquariatsabteilung eines Kunsthauses bekommen – nach einigen Wochen Lieferzeit. Das Buch „Kafkas letzter Freund“ umfasst eine katalogisierte Aufstellung des Nachlasses von Robert Klopstock, mit vielen Fotos, Faksimiles und Dokumentationen. Unter anderem auch 38, teils ungedruckten Briefen von Kafka. Die Aufbereitung des Buches ist sehr gelungen. Hochinteressante Informationen – ein ganz entscheidendes Puzzlestück für das Kennenlernen dieses doch sehr undurchschaubaren Robert Klopstock.

Der Nachlass von Klopstock – zu horrendem Preis in einer Auktion angeboten5 – wurde in einem Buch mit dem Titel "Kafkas letzter Freund" im Detail vorgestellt. Darin werden unter anderem auch die literarischen Ambitionen von ihm selbst und seiner Frau Giselle thematisiert. Das lässt auf eine gewisse Distanzlosigkeit schließen, bringt aber dennoch kaum Licht ins Dunkel.

Für mich ist das ein weiteres Element, das geradezu auffordert, in einer Geschichte verarbeitet zu werden. Wie wäre es, wenn Klopstock Anfang der 50er Jahre, als er eine Stelle in einem Krankenhaus in Brooklyn angenommen und große Erfolge in seinem medizinischen Fachbereich aufzuweisen hat, plötzlich mit diesen Gedanken konfrontiert wird? Wer könnte diese Person sein?

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich schreibe, dass dieser Gedanke Grundlage für eine weitere Geschichte zum Thema Kafka ist und die Konstruktion einer solchen spannenden Situation ist auf vielfältige Art und Weise möglich.


  1. Aus "Jahre der Erkenntnis" von Reiner Stach:"Vermutlich war es nichts als Kafkas Wille, auch in einer solchen Situation kindlicher Hilflosigkeit noch Haltung zu bewahren, der ihn bis zum Ende daran hinderte, dem bisweilen ein wenig distanzlosen Klopstock das 'Du' zu gestatten." 

  2. In einem Interview aus dem Jahr 1946:"Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, würde Kafka heute noch leben und mit uns plaudern."- Quelle ⧉ 

  3. Quelle: https://literaturkritik.de/id/6241 ⧉ 

  4. Quelle: Weltwoche, Dagmar Just, Artikel vom 05.11.2022 ⧉. Bei diesem Artikel in der „Weltwoche“ (bekannt für „alternative, leicht tendenziöse“ Berichterstattung) wird behauptet, Klopstock habe Klaus Mann beim Selbstmord „geholfen“. Das stimmt so nicht, bzw. dafür lässt sich kein Beleg finden. Klopstock hat Klaus Mann mit einem Entwöhnungsmittel geholfen, von der Heroinsucht loszukommen. Dieses Mittel war zumindest Teil des Medikamentencocktails, mit dem sich Klaus Mann umgebracht hat. Die Behauptung, Klopstock habe bei dem Selbstmord geholfen, suggeriert aber eine ganz andere, „aktivere“ Verstrickung, für die es keinen Beleg gibt. 

  5. Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/kafkas-letzter-arzt-100.html ⧉